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Zhou Song:

Mass Energy

19 Aug - 30 Sept, 2023

Kunstrum Villa Friede (Bonn, Germany)

Curator

 Dr. Hannes Jedeck

Zhou Song wurde 1982 in Jiangxi, China geboren. Er studierte in Tianjin, jener Stadt in unmittelbarer Nähe zum politischen Zentrum Peking und machte dort 2006 an der Akademy of Fine Arts seinen Abschluss in Bildender Kunst. Er zählt zu jenen relativ jungen chinesischen Künstlern, die bereits zahlreiche internationale Ausstellungen vorzuweisen haben. Zu sehen waren seine Werke im European Museum of Modern Art in Barcelona, dem Grand Palais Paris, in Florenz, Los Angeles, Budapest etc. Dies hat zum einen mit seiner Begabung als Künstler zu tun, zum anderen mit den Themen, die ihn beschäftigen und die international anschlussfähig sind. In seinen Werken erkundet er Schnittstellen zwischen biologischem Leben und Technik, Mensch und Maschine, zwischen Philosophie und Naturwissenschaft. Betrachtet man seine Kunstwerke, stellt man bald fest, dass er die drängenden Fragen und Krisen der Gegenwart, der Spätmoderne, aufgreift und dass er sich künstlerisch mit ihnen auseinandersetzt. In seinen Bildern spiegeln sich die Herausforderungen, mit denen die Menschheit sich konfrontiert sieht: die Klimakrise, die Umweltzerstörung, die Herausforderung durch Künstliche Intelligenz und nicht zuletzt die Bedrohung der Menschheit durch Krieg und kriegerische Handlungen – alles äußerst gegenwärtige Themen. Der Titel seiner Soloausstellung bezieht sich auf die Welt der Philosophie ebenso wie auf jene der Naturwissenschaften. Masse und Energie – Mass Energy (Zhineng 质能) – sind zwei physikalische Größen. Beide kommen in Einsteins berühmter Relativitätstheorie vor. Die Formel E=mc2 besagt, dass die Masse m und die Energie E eines Objekts in direkter Beziehung zueinanderstehen. Eine Änderung der inneren Energie eines Systems bedeutet eine Änderung der Masse und umgekehrt. Es ist eine bahnbrechende Formel, die die moderne theoretische Physik begründet. Für Zhou Song steht Mass Energy darüber hinaus für den Zustand des Universums vor dem Urknall. Er sieht darin verdichtete Energie, geballte Kraft und geballte Masse. Es ist für ihn eine von unzähligen Möglichkeiten der Welt und ihrer Existenz, aus der alles weitere entstehen und hervorgehen kann – eine sehr chinesische Denkweise, denn im Buch der Wandlung (Yi Jing 易经) heißt es, dass aus dem Dao die „zehntausend Dinge“, also der Kosmos, und auch die Ordnung der Dinge entsteht. Gleichzeitig ergibt sich im Chinesischen eine weitere, versteckte Interpretationsmöglichkeit des Titels. Mass Energy (Zhineng 质能) etwas anders betont als Zhineng (智能) bedeutet auf Chinesisch Intelligenz. Es ist der Begriff, der auch für Maschinelle Intelligenz und Künstliche Intelligenz verwendet wird. Hierin steckt die große Herausforderung für den menschlichen Geist und die Frage, wie wir mit den intelligenten Maschinen der Gegenwart und der Zukunft leben wollen und können. Die Ausstellung bietet einen Einblick in verschiedene Schaffensphasen Zhou Songs, in drei Serien der künstlerischen Produktion: Inflating, Red Field und Entropy. Seine jüngste und vermutlich bekannteste Serie aus den Jahren 2019 bis 2022 ist Inflating, zu Deutsch „aufpusten“, „vergrößern“. Der Titel bezieht sich auf jene Objekte, die in Zhou Songs Bildern vorkommen und die ihre Form und damit gänzlich ihren Charakter verändern. Die im Kunstraum Villa Friede zu sehenden Cyber Eden und Monuments wurden beide im Jahr 2022 fertiggestellt. Doch lassen sie sich nur im Kontext der ganzen Serie verstehen. Denn darin porträtiert Zhou Song eine bestimmte Schicht der Gesellschaft, die so in den meisten kapitalistischen Ländern der Welt vorkommt. Es sind die sog. „White Collar Worker“, die Weiße-Hemden-Träger aus den Großstädten, die im Dienstleistungssektor arbeiten, ins Büro gehen oder im Home-Office arbeiten. Sie verrichten vornehmlich geistige Arbeit. Zhou Song setzt sich nun explizit mit jener gesellschaftlichen Schicht der oberen Mittelklasse auseinander. Es sind die scheinbar erfolgreichen Menschen der Gesellschaft. Ihre Arbeit ist jedoch – so hat es die Corona Pandemie gezeigt – nicht systemrelevant. Auch hätte kaum jemand vermutet, dass die Künstliche Intelligenz nun gerade ihre Jobs als erstes bedroht und nicht jene der Handwerker und der Pflegearbeiter – nach der menschlichen Muskelkraft in den Fabriken wird nun die menschliche Intelligenz durch KI herausgefordert. In Zhou Songs Bildern werden die Angestellten aufgeblasen, ihre Gesichter quillen auf, verdreht und in dreieckige oder rechteckige Formen gepresst. Das prominenteste Beispiel dieser Serie ist wohl jenes, in dem ein Mensch mit einem Haifisch verschmilzt. Entsetzt schaut er aus dem Maul des Fisches. Es erinnert an die Hauptfigur aus Kafkas Die Verwandlung, in der der Protagonist morgens aufwacht und feststellt, dass er ein riesiger Käfer ist. Die verdrehten, eingeengten Gesichter erkennt man auch in Monuments, aber was den Stil und die Farbgebung betrifft, ist Cyber Eden typischer für die Serie. Verschiedene Zeichen lassen den Betrachter den Arbeiter der gehobenen Klassen der Großstadt erkennen, z.B. die Anzughose und die schwarzen, glänzenden Anzugschuhe, die verdreht sind und übertrieben spitz zulaufen. Man sieht zwei breit aufgestellte Beine, der vermutete Mensch auf dem Bild ist dekonstruiert und nur durch die Hose und die Schuhe erkennbar. Es fehlt der eigentliche obere Teil des angedeuteten Menschen. Als Subjekt der Moderne ist er gezwungen, seine Rolle zu erfüllen, scheitert aber daran – eine erneute Parallele zu den Protagonisten in den Romanen Kafkas, die regelmäßig an den Absurditäten der Arbeitswelt zugrunde gehen. Zwischen den breit aufgestellten Beinen sehen wir Äpfel, verformt mit einer hyperrealistischen, fast schon artifiziellen, künstlichen Oberfläche. Die Äpfel stehen als Symbol für den Sündenfall, für die Vertreibung aus dem Paradies, die sich im Titel andeutet („Der Garten Eden“). Die Sehnsucht nach dem Paradies und die harte Realität der Arbeit in einer kapitalistisch organisierten Großstadtwelt kommen im Bild Cyber Eden zusammen. Die Serie Red Field nähert sich der Frage der menschlichen Existenz der Gegenwart von einer anderen Seite. In Soldiers Weeping V sehen wir die Umrisse eines Maschinengewehrt des Typs AK-47 II, gefüllt mit Innereien. Die Farbe Rot sticht hervor, kristallklar und stark in der Farbgebung. Unklar bleibt, ob das das Maschinengewehr ausfüllende Innere Ergebnis von dem Gebrauch der Kalaschnikow ist oder ob es gefüllt wurde mit menschlichen oder tierischen Eingeweiden. Es schwingt darin eine Anspielung auf Krieg und Gewalt ebenso mit wie die Frage nach dem Leben, das in seinem Innersten durch kriegerische Handlungen und die daraus resultierende humanitäre Krise bedroht ist. In der Serie Entropy – ein physikalischer Begriff aus der Thermodynamik – setzt sich Zhou Song mit der philosophischen Frage der Existenz des Menschen im Maschinenzeitalter auseinander. Die Bilder sind düster gehalten. Schwarze, weiße und graue Farbtöne überwiegen. New Genesis aus dem Jahr 2017 gibt einen tiefen Einblick in eine dystopische Zukunft, in der keine Menschen zu sehen sind – „haben sie nicht überlebt?“. Stattdessen sehen wir skelethafte Maschinen, angelehnt an den Killerroboter aus dem Film Terminator, die dem Menschen auf gruselige Weise präzise nachgeformt sind. Es scheinen Intelligente Wesen zu sein, die sich in Gruppen versammeln und eine Art Sozialverhalten ausgeprägt haben. Sie harren auf einer Art Plattform oder Scholle, haben menschliche Proportionen und Körperteile und verhalten sich menschenähnlich, liegen beieinander, einige sehen in den Himmel, als erwarteten sie von dort ein Zeichen. Eine zerbrochene antike Skulptur stellt eine Verbindung zur vergangenen Hochkultur der Menschheit her und verdeutlicht deren Untergang. Auch ein Auto, einstmals Symbol der menschlichen Freiheit, liegt abgestürzt und unbrauchbar am Wegesrand. Die fossile Welt der Vergangenheit scheint ausgedient zu haben. Im Hintergrund detoniert ein Sprengstoff und löst einen riesigen Explosionspilz aus. Es ist eine düstere, dystopische Zukunft ohne biologisches Leben, wie wir es kennen. In Counter Time Travels aus dem Jahr 2015 sehen wir eine Frau in einen engen, schwarzen Latexanzug gekleidet. Ausdruckslos schaut sie den Betrachter mit Messer und Gabel in den Händen an. Die Energie der Bewegung scheint nach oben zu drängen, wenn um die zentrale Figur herum Trümmer und Gegenstände in die Luft entschweben. Wir erkennen das Bild einer Mondlandung, Anspielungen auf den Weltraum, ein Sternensystem, Trümmer eines Terminator Roboters aus dem Bild New Genesis. In der hyperrealistischen Mal-Art Zhou Songs wirkt auch die dargestellte Person überrealistisch. Sieht man sich die glatte, glänzende Oberfläche ihrer Kleidung und die perfekte Symmetrie ihrer Silhouette genauer an, scheint es nicht sicher zu sein, ob sich hinter der Oberfläche ein Mensch ist oder ob darunter nicht weitere Kabel, Schaltkreise und Geräte verborgen sind. Makellos sind die Proportionen, perfekt die Kleidung. Zu perfekt, um ein Leben aus Fleisch und Blut zu haben? Kleine, präzise dargestellte Erdbeeren in der Farbe Rot, stellen scheinbar kontrastierend einen Bezug zur Welt der Natur dieser Welt her. Die Natur ist, wie schon in Cyber Eden, in Form von Früchten in den Werken Zhou Songs repräsentiert. Erdbeeren faszinieren Zhou Song. Einst führte er selbst mehrere Studien zu ihrer Form und Farbgebung an. A red heart beispielsweise ist ein hyperrealistisches Bild einer Erdbeere. Und auch in Counter Time Travels dient die Erdbeere als „Herz“ der abgebildeten Kunstfigur, die Natur tritt als organische Grundlage des Lebens in Erscheinung. Doch durch die hyperrealistische Darstellung, die kleinen glänzenden Wassertropfen an der Oberfläche und die Farbgebung wirken die Erdbeere ebenfalls künstlich. Mit ihren perfekten Formen und im Gesamtkontext des Bildes erscheinen sie wie weitere artifizielle Hervorbringungen eines dahinterstehenden Algorithmus. Auch sich selbst stellt Zhou Song in einen Zusammenhang mit der durch technologische Entwicklung bedrohten Menschheit. In Dark Consciousness porträtiert er sich selbst als Android, halb Mensch, halb Maschine, dessen Kopf abgetrennt ist und aus dessen Hals und Händen die Kabel quillen. Die Möglichkeit vom Untergang der Menschen und der Natur in ihrer Artenvielfalt denkt Zhou Song in jedem Moment mit. So ist das Werk Zhou Songs getränkt von Gegenwärtigkeit – mit dystopischen Ausblicken in die Zukunft. Seine Bildsprache ist realistisch, teils hyperrealistisch und lässt dann beides hinter sich, um eine ganz eigene Realität zwischen Mensch und Maschine, Leben und Technik sichtbar und erlebbar werden zu lassen. - Dr. Hannes Jedeck, 2023

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